Gemeinde verschuldet sich für mehr Einnahmen
Sie gilt als reich mit starken Steuereinnahmen – und doch hat sie hohe Schulden – der Grund ist eine Absurdität in der Darstellung der kommunalen Haushalte – ein Bürgermeister plädiert dafür, Investitionen endlich bilanziell vernünftig darzustellen – ähnlich wie bei einer Aktiengesellschaft. Für seine eigene Kommune rechnet er vor: „Dann wäre unsere Bilanz wesentlich ehrlicher und transparenter“
In Hessen konnten sich 2022 viele Kommunen über sprudelnde Einnahmen freuen. Sie verbuchten durchschnittlich das doppelte Steueraufkommen als etwa die Städte und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern. Künzell kommt so nur noch auf 70 Euro Schulden pro Einwohner. Hainburg auf 97 Euro, Eschborn auf 59 Euro. Aber das gilt längst nicht für alle Kommunen. Pfungstadt stand im Jahr 2022 dagegen mit 4.130 Euro in der Kreide, Homberg/Efze sogar mit 4.910 Euro. Mittendrin: Willingen mit 4.369 Euro. Der Willinger Bürgermeister nennt KOMMUNAL einen ungewöhnlichen Grund für die vergleichsweise hohe Verschuldung seiner Kommune. Es ist der Tourismus.
Wenige Einwohner, viele Gäste
Willingen ist eine Gemeinde im sogenannten Upland. Das Upland erstreckt sich über den nordöstlichen Teil des Rothaargebirges. Sie gehört zum nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg und grenzt an den Hochsauerlandkreis in Nordrhein-Westfalen. Neben Winterberg ist Willingen der Wintersportort der Region. In Willingen betten etwa 6.000 Menschen ihren Kopf auf das eigene Kissen, in Hochzeiten liegen dagegen bis zu 10.000 Gäste des Nachts in ihren Hotel- und Pensionsbetten. Die sogenannte Fremdenverkehrsintensität ist in Willingen also extrem hoch. Schön für die zahlreichen Einwohner, die vom und mit dem Tourismus leben. Weniger schön ist dieser Zustand allerdings für die Verwaltung der Kommune selbst. „Willigen steht für Aktivität und Abwechslung, Natur und Erholung, Genuss und Geselligkeit, Sommer- und Wintervergnügen“, wirbt die Gemeinde auf ihrer Homepage für sich als Touristenziel.
Tourismus und seine Schattenseiten
Bürgermeister Thomas Trachte erklärt: „Wir müssen als Tourismusstandort eine Infrastruktur vorhalten, die vergleichbare Kommunen einfach nicht brauchen.“ Und er nennt auch gleich ein Beispiel: „Die Kläranlage von Willingen/Schwalefeld ist auf etwa 20.000 Menschen ausgelegt, obwohl die beiden Orte nicht annähernd eine Bevölkerung in dieser Größenordnung erreichen.“ Probleme, die Kommunen im Speckgürtel einer Großstadt so nicht hätten. „Am Rande einer Metropole können Kommunen die Vorteile ihrer Lage nutzen, ohne dafür groß etwas tun zu müssen.“ Gemessen an der Steuerkraftmesszahl gelte Willingen, seine Gemeinde, sogar noch als finanzstark und erhalte deshalb auch nur niedrige Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich. Der müsse, sagt Thomas Trachte, ohnehin neu aufgestellt werden. Wenn die strukturellen Unterschiede so wenig Beachtung fänden wie derzeit, dann verlören ländliche Regionen auch weiterhin gegenüber den Städten.
Verschuldung: Andere Bilanzierung nötig
„Beispiele wie unseres zeigen, dass bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit einer Kommune die Einwohnerzahl als Bezugsgröße für monetäre Größen nicht immer geeignet ist. Aussagekräftiger sind hier eher kaufmännisch sinnvolle Bilanzkennzahlen und der Finanzstatusbericht im Haushalt“, unterstreicht der Bürgermeister und verweist auf eine entsprechende Debatte in der Fachwelt.
Eine weitere finanztechnische Besonderheit im kommunalen Bereich würde der Willinger Bürgermeister auch gerne zur Diskussion stellen: Für Aktiengesellschaften sei es zum Beispiel vorgeschrieben, ihre Investitionen bilanziell darzustellen. „In Kommunen werden weder Sanierungsmaßnahmen erfasst noch der sogenannte Investitionsstau bilanziell ausgewiesen. Wenn das passieren würde, müsste man das hohe Steueraufkommen auch in den angeblich gut gestellten Kommunen – nicht nur in Hessen – rasch relativieren.“
Der Artikel ist aus der Zeitschrift: https://kommunal.de/Kommune-verschuldet-sich-fuer-einnahmen