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Wir leisten uns eins der teuersten Gesundheitssysteme dieser Erde.

Annika Wolter ist Expertin in der Gesundheitsbranche. Nach ihrem Krankenpflege-Examen im Jahr 2007 und Tätigkeit auf einer Intensivstation, absolvierte sie ein Studium der Gesundheitsökonomie an der Apollon-Hochschule der Gesundheitswirtschaft in Bremen. Ab 2012 war sie als Management-Trainee bei der Helios-Klinikgruppe tätig und stieg schnell zur Geschäftsführung von Kliniken und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Norddeutschland auf. Sie war Geschäftsführerin der Helios Kliniken in Cuxhaven, in Nordenham und der Sahlenburger Klinik von 2014 bis 2019.

Seit 2020 ist sie Geschäftsführerin von fünf Krankenhäusern in Münster, Westfalen. 

Interview mit Annika Wolter über das Krankenhaus in Otterndorf und die Gesundheitsversorgung im Landkreis Cuxhaven:

Küstenblick: Frau Wolter, was treibt Sie nach Cuxhaven?

Ich bin immer mal wieder hier, weil ich 4,5 Jahre in Cuxhaven gelebt und gearbeitet habe und weiterhin Freunde hier habe.

Küstenblick: Beobachten Sie die Krankenhauslandschaft im Cuxland?

Ja, ich beobachte die Entwicklungen in der gesamten Bundesrepublik und schaue auch ab und zu nach Cuxhaven.

Küstenblick: Das Otterndorfer Krankenhaus wurde erneut vom Kreis Cuxhaven übernommen, hat es eine Chance?

Finanziell wird es schwierig bis unmöglich sein, hier ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen, es sei denn, der Eigentümer schießt weitere Millionen in das Krankenhaus, was ja offenbar bereits getan wird. Bundespolitisch werden sich die Ereignisse ohnehin noch überschlagen, da es Level 1 i Krankenhäuser geben soll. In diese Kategorie wird Otterndorf voraussichtlich fallen.

Küstenblick: Was bedeutet Level 1 i?

Level 1 i steht für einen Versorgungsauftrag zwischen ambulant und stationär, im Wesentlichen eine ärztliche Versorgung mit Übernachtungsmöglichkeit.

Küstenblick: Heißt das, wenn ich in Belum einen Herzinfarkt habe, komme ich dann ins Otterndorfer Level 1 i Krankenhaus?

Nein, auch heute kommen Sie nicht in das Otterndorfer Krankenhaus. Herzinfarktpatienten werden nur in Cuxhaven und Bremerhaven behandelt, da dort die fachärztliche Expertise sowie ein Herzkatheterlabor für Eingriffe vorhanden sind.

Küstenblick: Der ehemalige Bürgermeister Harald Zahrte wurde aus der Rente geholt und ist nun Klinikgeschäftsführer im Otterndorfer Krankenhaus. Kann ein Verwaltungsfachmann ein Krankenhaus leiten?

Nicht umsonst gibt es spezielle Studiengänge und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich des Krankenhausmanagements, um mit den Besonderheiten der Leitung eines Krankenhauses umgehen zu können. Ich möchte Herrn Zahrte keine Kompetenzen absprechen, da ich ihn kenne und sehr schätze, aber meine Erfahrung zeigt, dass Krankenhausmanagement sehr komplex ist.

Küstenblick: Ist es bundesweit üblich, dass Politiker Krankenhäuser leiten?

Ich kenne aus meiner persönlichen Erfahrung keinerlei Beispiele dafür, dass die operative Krankenhausführung durch einen Politiker übernommen wird.

Küstenblick: Der Landrat möchte eine Beratungsfirma ins Boot holen, um die Fachexpertise zu erhalten. Was halten Sie davon?

Das ist vermutlich dringend notwendig, um die aktuellen Herausforderungen in der Krankenhauslandschaft besser zu bewältigen.

Küstenblick: Wie könnte die Zukunft des Otterndorfer Krankenhauses aussehen?

Vermutlich genauso, wie die Bundespolitik es für viele kleine Krankenhäuser in Deutschland vorsieht: Basisversorgung unter ärztlicher Expertise mit Übernachtungsmöglichkeit.

Küstenblick: Wann werden die Reformen von Lauterbach verabschiedet?

Das Gesetz soll zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Küstenblick: Wann werden die Reformen sich auf die Krankenhauslandschaft bemerkbar machen ?

Sicher braucht eine Reform ihre Zeit. Das Problem wir allerdings schon früher für die Kliniken vorhanden sein. Allein die Schere zwischen Einnahmen- und Ausgabenseite geht schon jetzt sehr weit auf. Die Einnahmeseite der Kliniken steigt durch vorgegebene Veränderungsraten im Mittel um ca. 4,5% wohingegen die Ausgabenseite aufgrund von Tarifsteigerungen und Inflation im Mittel um ca. 10% steigt – da braucht man kein Mathematik-Genie zu sein, um zu sehen, dass da ein Problem entsteht.

Küstenblick: Was verändert sich in der Abrechnung von Krankenhäusern?

Aktuell wird der Großteil der Leistungen über Fallpauschalen abgerechnet. Im ersten Schritt wurde bereits eine Vorhaltefinanzierung für die Pflege, das sogenannte Pflegebudget eingeführt, d.h. die Finanzierung der Pflegepersonalkosten erfolgt über Erstattung von Ist-Kosten. Zukünftig soll es weitere Vorhaltefinanzierungen geben.

Küstenblick: Erklären sie bitte die Fallpauschale für unsere Leser/innen?

Über eine Fallpauschale (DRG) wird eine bestimmte Leistung pauschal vergütet. Der Wert der Vergütung bemisst sich dabei nach dem Schweregrad der erbrachten Leistung.

Küstenblick: Und bitte noch die Vorhaltepauschale?

Vergütung von Ist-Kosten der Vorhaltung – beispielsweise Vorhaltung von Geburtskliniken.

Küstenblick: Wie stehen wir in Deutschland im Krankenhauswesen weltweit gesehen ?

Grundsätzlich ganz gut – immerhin leisten wir uns eins der teuersten Gesundheitssysteme dieser Erde.

Küstenblick: Jammern Patienten auf hohem Niveau in Deutschland?

Die Krankenhausdichte ist in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch. 

Küstenblick: Welches Land kann Krankenhaus aus Ihrer Sicht am besten?

Das ist eine schwierige Frage. Es kommt darauf an, welche Sichtweise man einnehmen möchte. Bedeutet ein gutes Krankenhaus eine hohe Versorgungsqualität (dann sicherlich USA, Singapur oder Australien)? Bedeutet es eine schnelle (wenn auch weniger gute) Versorgung? Bedeutet es gar eine kurze Entfernung zum nächsten Krankenhaus, um immer wohnortnah versorgt zu sein?

Ich selbst würde immer Wert auf eine hohe Qualität legen, egal, wie weit ich dafür reisen müsste.

Küstenblick: Im Bundesland Berlin scheint es Regungen zu geben, gegen die ungleiche Finanzierung von kommunalen Krankenhäusern vorzugehen. Was können Sie dazu sagen?

Das, was sich in den Medien nachlesen lässt. Die kommunalen Vivantes Kliniken erhalten Zuschüsse aus Steuergeldern aufgrund der Eigentümerstruktur, während dies anderen Kliniken nicht zu teil wird. Dagegen möchten die nicht unterstützten Kliniken nun vorgehen, weil dies als wettbewerbsverzerrend wahrgenommen wird. Dies könnte natürlich an anderen Stellen in Deutschland ähnliche Regungen nach sich ziehen – mit welcher Begründung erhalten Kliniken in kommunaler Trägerschaft immer wieder ihre Verluste ausgeglichen (wohlgemerkt aus Steuergeldern), während andere Träger diese Möglichkeiten aufgrund anderer Eigentümerverhältnisse nicht erhalten?

Küstenblick: Was sind die Hauptherausforderungen in der Gesundheitsstruktur für den Landkreis Cuxhaven?

Sicherlich die Personalakquise in den medizinischen Bereichen und die Erfüllung der immer komplexer werdenden Strukturvorgaben zur Leistungserbringung. Die Regularien sind in den letzten Jahren immer enger gefasst worden. Zu dem die große Lücke, die in allen Häusern deutschlandweit zwischen Einnahmen- und Ausgabenseite aufgeht.

Vielen Dank, Frau Wolter, für Ihre Einblicke und Ihre Zeit.

Das Gespräch führte Frank Langenrost.

Hier finden Sie weitere Informationen zum Thema:

https://www.kma-online.de/aktuelles/politik/detail/klagen-berlins-krankenhaeuser-bald-gegen-das-land-50322

https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/3_Service/3.4._Publikationen/3.4.1._das_Krankenhaus/das_Krankenhaus_489-492-Politik-Krankenhausreform-6-2023.pdf

https://www.hcm-magazin.de/level-1i-der-schluessel-zur-ueberwindung-der-sektorengrenzen-342076/

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/gesundheitswesen/krankenhausreform/faq-krankenhausreform.html

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/143653/Krankenhausreform-Rund-350-Kliniken-koennten-dem-Level-1i-zugeordnet-werden

Krankenhausreform (bundesgesundheitsministerium.de)

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